Die Töchter Irans am Weltfrauentag

Als Leyla Piedayesh, die Herausgeberin des Buchs „Irans Töchter“ und die Gründerin des Labels Lala Berlin, gefragt wurde, ob sie ein Buch über sich, ihr Leben und ihre Mode machen wolle, wurde ihr klar, dass dieser Platz allen Frauen gehört, die sie im Zuge der September-Demonstrationen getroffen hatte.

Daher stellen wir nun die Herausgeberin des Buchs Leyla Piedayesh und die Fotografin Neda Rajabi heute, am Weltfrauentag, vor. Denn „Irans Töchter“ zelebriert diese Frauen, was sie trotz, und vielleicht genau wegen, der Hindernisse erreicht haben. Ein Buch über Mut, Heimat und die Schönheit des Lebens.

Wie Leyla Piedayesh selbst so schön sagt: „Es geht hier überhaupt nicht darum, ob man Angst hat oder nicht, sondern genau um das Gegenteil. Es geht darum, authentisch zu sein, für etwas einzustehen und sich keine Gedanken über Ängste zu machen. Es geht nicht um die Furcht selbst, sondern vielmehr darum, wer wir sind, wo wir stehen, warum wir existieren und welche Ziele wir verfolgen – und vor allem, was wir bereit sind, dafür zu tun. Es geht nicht um Angst, diese ist ja bekanntlich kein guter Begleiter. Angst ist der Teufel, der versucht, einen mit negativen Gedanken in die Hölle zu treiben.“

Alle verwendeten Bilder stammen von Neda Rajabi und den Shootings, die für „Irans Töchter“ gemacht wurden. Die Interviewfragen und Texte stammen von unserer Autorin des Monats Stefanie von Wietersheim, und bieten einen Einblick ins Buch. Mehr zu Stefanie und diesem Projekt in ihrem Autoreninterview hier!

ZAN ZENDEGI AZADI – Frau, Leben, Freiheit!

Ein Buch über Lebensmut und Lebensfreude zu machen, wenn es gleichzeitig um den Freiheitskampf der Iranerinnen, um Überleben und Tod in ihrem Land geht – darf man das, kann man das überhaupt?

Ja. Wir haben uns dazu entschieden, deutsche Frauen mit iranischen Wurzeln zu porträtieren – und zu zeigen, wie sie ihre ganz unterschiedlichen Lebensentwürfe gestalten, sich selbst und anderen Heimat geben. Und ja: zu zeigen, wie ihr persönliches Glück aussieht.

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Es gibt keine Freiheit ohne die Freiheit der Frauen – deshalb ist die feministische Revolution im Iran auch entscheidend für die Menschenrechte auf der ganzen Welt. Insofern kämpfen die mutigen Frauen Irans – und an ihrer Seite auch Männer – gegen Versklavung, Entrechtung, Folter, Unterdrückung und Kontrolle von Frauen rund um den Globus.

 

Leyla Piedayesh – The Power of Fashion

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„Hast Du nur schöne Erinnerungen an den Iran?“
„Ja, ich habe eigentlich nur schöne Erinnerungen – besonders mit meiner Mutter, wenn wir auf den Basar gingen. BASARE TALAH: das heißt Goldbasar. Viele Frauen waren mit Gold und Brillanten behängt, da gab es einen Laden, in dem der Boden mit kleinen Bergen von künstlichen Diamanten geschmückt war. Ich kann mich erinnern, wie ich als kleines Mädchen voller Begeisterung da reingriff und sie auf den Boden runterrieseln ließ – und ein paar der Steinchen durfte ich dann auch mitnehmen. Das fand ich ganz toll.“

„Wie seid Ihr nach Deutschland gekommen?“
„Die Familie hatte schon vor 1979 eine Vorahnung, dass es einen politischen Umsturz geben würde. Mein fünf Jahre älterer Bruder ging von 1977 bis 1979 bereits auf ein deutsches Internat. Auch ich wurde kurz auf eine deutsche Schule geschickt, dann kam ich aber zurück in Teheran auf meine alte englische Schule. Als wir 1979 in den Sommerferien meine in Wiesbaden lebenden Verwandten besuchten, blieben wir dann für immer in Deutschland. Mein Vater konnte nicht mit uns kommen, da er als Ingenieur bei der staatlichen Ölgesellschaft als der Schah-Partei zugehörig gesehen und blockiert wurde. Mein Vater flüchtete nach eineinhalb Jahren mit einem Maulesel über die Grenze der Türkei und flog von da aus nach Frankfurt.“

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„Wie hast Du Dich integriert? War das ein bewusster Prozess?“
„Es war meine Aufgabe, mich in Deutschland zu integrieren und deutsch zu sein. Meine Herkunft habe ich neben mir her geschleppt. Für manches habe ich mich geschämt, wie die fehlenden Sprachkenntnisse meines Vaters, der ja zuvor eine hohe Position hatte. Ich habe mich dann vom Iran abgeschottet und mein Leben gelebt.“

„Du bist dann ja selbst auf dem Laufsteg politisch geworden.“
„Auf die politische Bühne getreten bin ich nach dem Amtsantritt von Donald Trump, als er seinen Muslim Ban erlassen hatte, mit dem Menschen mit Pässen aus bestimmten Ländern die Einreise verweigert wurde. Ich dachte, der spinnt ja wohl! Ich darf nicht nach Amerika? Ich lebe seit über 40 Jahren in Deutschland, ernähre hier mit meiner Firma Menschen? Da bin ich bei der Modenschau in Kopenhagen mit den Models auf den Laufsteg gegangen und habe ein Schild getragen, auf dem stand: „I am an immigrant“. Ich musste das aussprechen! Die Reaktionen waren positiv, auch wenn man mehr darüber als über die Kollektion geredet hat.“

„Du hast nun in Deutschland einen großen Kreis persischer Frauen um Dich gesammelt. Kam das durch die Revolution im Herbst 2022?“
„Ich wollte schon länger ein persisches Frauennetzwerk organisieren, andere hatten auch diese Idee und es hat sich eine kleine Gruppe gegründet. Wir gingen heiter essen und hatten Spaß. Dann kam die September-Revolution und aus der kleinen lustigen Truppe wurde eine sehr politische Gruppe. Aber jede macht eigene Aktivitäten, weil jede eine andere Motivation hat. Die erste Demo, bei der ich je war, war für „Woman, Life, Freedom“ in Berlin. Da habe ich 20 Hoodies mit dem Slogan gestaltet, dann wollten den immer mehr Menschen und dann habe ich immer mehr davon produziert.“

 

Neda Rajabi – Ich zeige den Female Gaze.

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„Du bist selbst gebürtige Iranerin, in Deutschland aufgewachsen. Und man spürt, wie wichtig Dir Schönheit ist, wenn man Dich länger erlebt. Ich habe den Eindruck, dass Du sie lebst, atmest, sprichst. Dass Sie Dir, wie es auch im Untertitel unseres Buches heißt, Lebensfreude ist.“
„Schönheit und Sinnlichkeit, und sie zu interpretieren, fasziniert mich, ich stilisiere sie mit meiner Arbeit ja. Letztlich hat das Interesse an Schönheit mich zur Fotografie gebracht. Ich habe Industriedesign studiert, und mich im akademischen Betrieb und auch später als Dozentin mit Gender und Universal Design beschäftigt, weil mich der theoretische und demografische Ansatz im Design sehr interessierte. Zur Fotografie kam ich über Erfahrungen vor der Kamera. Wie Männer mich sahen, gefiel mir oft nicht. Ich hatte irgendwann das Bedürfnis, selbst hinter die Kamera zu gehen und auszudrücken, wie ich Weiblichkeit sehe. Ein Abrücken vom „Male Gaze“ zum „Female Gaze“ hat damals schon stattgefunden, auch wenn ich es erst später so benennen konnte. Das ist letztlich auch eine politische Haltung.“

„Was war das Besondere für Dich als Fotografin bei diesem Buch-Projekt?“
Frauen sichtbar zu machen und etwas zu kreieren das bleibt, ist einfach eine wunderschöne Aufgabe. Mir war bei der Zusage zu dem Projekt nicht bewusst, dass es eine Reise durch meine eigene Identität werden würde. Das hat mich überrascht. Im Gefühl von Hilflosigkeit zu kreieren ist unheimlich heilsam. Das passierte schon bei dem „Iranian Solidarity“-Shooting für die Vogue, als ich andere iranische Frauen aus der Kreativbranche fotografiert habe. Inmitten einer Zeit großer Betroffenheit über die Ereignisse im Iran konnte ich ins Schaffen kommen, das hat mir damals auch mental sehr geholfen. Das Gefühl in einen weichen Schoß von Zugehörigkeit gefallen zu sein hat dieses Projekt auch noch mal befeuert. Zu wissen, dass es in meinem Struggle der Identitäten Frauen gibt, die genau meine Reise durchgemacht haben, die meine Zerrissenheit verstehen, auch z.B. als Iranerin einen kreativen Beruf auszuüben.

„Deutsch ist meine emotionale Sprache, ich denke, fühle und träume auf deutsch. Aber Lieben tue ich intuitiv auf persisch.“ – Neda Rajabi

 

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„Wie kommt bei dieser künstlerischen Arbeit Dein persisches Elternhaus in Spiel?“
„Ich bin groß geworden mit einer sehr politischen und auch feministischen Grundhaltung in unserem Haus. Meine Eltern waren erpicht darauf, mir bewusst zu machen, dass unsere Welt auf Männer ausgerichtet ist und haben mich bestärkt, dass meiner Entwicklung als Mädchen trotzdem keine Grenzen gesetzt sind. Sie waren beide sehr offen und liberal und hatten immer eine sehr politische und kritische Haltung zu ihrer Umwelt. Als Kind haben sie mir  beispielsweise schon Gedanken zu Konsumbewusstsein und Medienwirkung.“

„Deine Familie floh dann 1985 aus dem Iran nach Deutschland. Das war ziemlich abenteuerlich, oder?“
„Meine Eltern und ich mussten quasi über Nacht fliehen. In der Türkei wurde der gesamte Bus vom türkischen Grenzschutz mitgenommen. Sie hatten Todesangst, dass sie abgeknallt werden, aber am Ende ging es nur um Schmiergeld. Erst durch meine eigene Mutterschaft habe ich wirklich verstanden, was sie in so jungen Jahren auf sich genommen haben. Ein Abschied für immer von allem, was sie kannten und liebten, auf in eine gefährliche Reise ins Ungewisse und ein kleines Kind dabei. Sie flohen über die Türkei und bekamen ein Transit-Visum für Ostdeutschland. So flogen wir nach Ost-Berlin und fuhren dann mit dem Zug von Ost-Berlin nach West-Berlin, zur Friedrichstraße.“

„Wie war es für Dich, als Kind von Geflüchteten in Hannover aufzuwachsen?“
„Das Aufwachsen dort war okay. Aber ich habe mich immer wie ein Alien gefühlt. Zum einen, weil ich gespürt habe, dass wir Migranten sind und viel Ausgrenzung erfahren haben, aber zum anderen auch, weil ich mit meiner rebellischen, nonkonformen Haltung nirgendwo reingepasst habe. Als ich das erste Mal mit 13 Jahren Berlin besuchte, habe ich dort ein unglaubliches Gefühl der Weite und Freiheit und des Ankommens gespürt. Ich habe nach dem Studium die erste Gelegenheit ergriffen und bin hierhergekommen, zunächst ohne ein Netzwerk gehabt zu haben. Ich bin wirklich nur für Berlin gekommen – eine echte Lovestory. Ich kann mich an der Weite des Horizonts vor meinem Fenster bis heute nicht sattsehen. Obwohl ich in der Stadt lebe, fühle ich mich dem Himmel mit seinen Himmelskörpern total nah. Wie bei Mies van der Rohe verschmilzt bei mir zu Hause das Drinnen mit dem Draußen und das sehe ich auch metaphorisch.“

 

Fotocredits: Neda Rajabi @neda.rajabiiii