Für alle, die Fabian Freytag noch nicht kennen … Hier sind einige Ausschnitte aus seinem Buch „Gently Radical“, die einen Einblick in seine Designansätze erlauben. Mehr zu Fabian Freytag als Person in seinem Autoreninterview hier.
„Follow the call of the disco ball!”
In einem seiner jüngsten Projekte, einem Berliner Penthouse von Daniel Libeskind, hat Fabian Freytag eine leicht verzerrende Spiegelfläche aus Edelstahl eingebaut und so eine große Portion Glamour in ein ansonsten überaus seriöses Interior eingeführt. Vor ein paar Jahren verbarg er in seinem Berliner Showroom eine komplett ausgestattete Hausbar hinter üppigen Vorhängen. Bei Bedarf lassen sich die Vorhänge allseitig aufzie-hen, und – ta-dah! – die Überraschungsparty kann beginnen. Vermutlich ist es diese prinzipielle Bereitschaft zum bewussten Abstand-Nehmen und Sichlocker-Machen, die uns im Werk von Fabian Freytag so an die heitere Seite der 70er-Jahre denken lässt. Späteren Dekaden galt der Glamour der 70er als oberflächlich; erst allmählich bildet sich ein Bewusstsein dafür aus, dass der zielgerichtete Blick auf die positiven Seiten des Lebens nicht nur gesund und pädagogisch wertvoll ist, sondern auch (gestalte-ten) Raum braucht. Nicht umsonst trug ein Disco-Film mit Donna Summer aus dem Jahr 1978 den Titel „Thank God it’s Freytag“, pardon, „Friday“.
Felix Wagner, Chefredakteur AD
Freytags Themen
Wie in jeder Disziplin gibt es Themen, die sich wiederholen. Was mich beschäftigt, wiederhole ich in diesem Kapitel. Denn es sind Beobachtungen des innenräumlichen Alltags, die häufig zur Erkenntnis führen. Aber grundsätzlich gilt: Angst ist ein schlechter Berater!
Basta Minimalismo
Man sollte nicht der Fremdkörper seiner eigenen Einrichtung sein
Ich mag Minimalismus. Vor allem bei der Architektur. Aber es ist die aufwendigste Art des Bauens, weil es eine Menge braucht, um es nach nichts aussehen zu lassen. Ich habe den Bau des Palais Varnhagen in der Französischen Straße in Berlin-Mitte betreut. Das Absurde an dem Gebäude von David Chipperfield ist, dass alle Firmen sich verschätzt haben. Sie haben die Pläne angeschaut, die natürlich sehr einfach daherkommen und auch als Skizze für einen Plattenbau herhalten könnten. Aber Irrtum! Die Planungen von Chipperfield sind eine Verschmelzung von zahlreichen Details und Materialien. Viele Firmen hatten wohl verpasst, sich die Ausführungsplanung genau anzuschauen, und sind auf dieser Baustelle völlig verzweifelt. Es war sehr traurig mitanzusehen, wie komplex der leise Luxus von Chipperfield zu bauen ist und wie zahlreiche Firmen daran gescheitert sind.
Nun verhält es ähnlich bei der Innenarchitektur. Jeder, der Architektur studiert hat, wird (zumindest in Deutschland) krampfhaft auf eine Art Minimalismus à la Bauhaus getrimmt. Und wenn Architekten in der Innenarchitektur landen, kann man den Pax-Schrank häufig nicht von einem Tischler-Einbau unterscheiden. Und ich frage mich, ob es Faulheit oder Angst ist, jedes Bauteil neu zu denken. Mir bereitet es große Freude, darüber nachzudenken, wie Oberflächen und Einbauten, Wände, Böden und Decken anders aussehen könnten als der Standard. Häufig benutzt man für das karge Nichts auch den Begriff skandinavisch. Ein Einrichtungsstil, den der Deutsche gut bedienen kann. Aber das liegt höchstwahrscheinlich an dem schwedischen Möbelgiganten. Es ist ein spannender Vergleich, einmal im April auf die Design Week nach Mailand zu fahren und im Juni auf die „3 Days of Design“ in Kopenhagen, was übrigens jeder Laie tun kann und sollte. Das Feuerwerk in Mailand an Kreativität und Inszenierung im Gegensatz zum reinen Zur-schaustellen von Einzelmöbeln. Ja, man mag mich nun kritisieren, dass die Designtage doch so eine wunderbare Atmosphäre haben und man so viel entdecken kann. Ja, stimmt. Aber machen wir uns nichts vor: Das liegt auch daran, dass Kopenhagen einfach eine wunderschöne Stadt ist, die jede Reise wert ist. Mailand ist etwas komplizierter. Nicht so zugänglich, und man muss sich über mehrere Jahre durcharbeiten, bis man versteht, wo die Reise hingeht. Und man wird die Trends finden, die man sucht.
Messen hin oder her. Ich bin überzeugt davon, dass ein minimalistischer Einrichtungsstil leicht realitätsfern ist. John Pawson macht wunderbare Räume, aber kein Mensch möchte einen gemütlichen Abend auf einem kubischen Holzsofa ohne Polster verbringen und einfach nur auf den Kamin schauen. Und weiterhin halte ich es auch für realitätsfern, dass niemals Dinge irgendwo herumliegen oder stehen. Und das ist auch meine Überzeugung: Design, schöne Dinge, Erinnerungen müssen gesehen werden. Dinge, die man liebt, sollte man in das Interior integrieren. Wenn Ihr Umfeld Ihnen spiegelt, dass Sie ein Messi sind oder einen zu besonderen Geschmack haben, melden Sie sich gerne. Einen minimalistischen Tipp habe ich dennoch: Es lohnt sich, auf Regale zu verzichten, welche verstauben und selten gut kuratiert an den Wänden herumstehen. Eine Tür oder ein Vorhang davor, wenn das Möbel schon einmal da ist, wirkt Wunder.
Die große Angst vorm Altern
Materialien sollten in Würde altern dürfen, so wie Menschen. Die Spuren der Zeit auf Oberflächen erzählen Geschichten. In der natürlichen Patina liegt die Schönheit, die den Charakter eines Objekts erst entfaltet. Wahre Eleganz zeigt sich nicht im Neuen, sondern in der Fähigkeit, mit Anmut die Spuren der Zeit zu tragen.
Viele von uns fürchten das Altern – vor allem die sichtbaren Zeichen des Alters. Botox, Hyaluron und Facelifting sind Zeugen dieses Kampfes gegen die Zeit, mit gemischten Ergebnissen. Die Angst vor Patina ist uns auch beim eigenen Auto wohlbekannt. Kein Kratzer darf die Lackoberfläche in ihrer Anmut stören.
Ein großes Fragezeichen habe ich jedoch im Gesicht, wenn es um die eigenen vier Wände geht und mir die Frage gestellt wird: „Bekommt das Flecken?“ Warum schrecken Flecken oder Gebrauchsspuren so sehr? Bei Kleidung würden wir sagen: Flecken entstehen durch Nutzung. Und dann frage ich mich: „Können Dinge nicht mit Würde altern?“
Natürlich setzt würdevolles Altern eine gewisse Qualität voraus. Die Billigmöbel von Möbelketten erfüllen diesen Standard kaum. Ein Blick auf Vintage-Möbel kann aufklären, welche Stücke Jahrzehnte überdauern und welche schnell verschlissen sind. Hier sieht man, was problemlos 200 Jahre hält und was nach den ersten drei Jahren gut in einer Schrottpresse aufgehoben wäre.
Besonders bei Naturoberflächen sollten wir es besser wissen. Wir reisen um die Welt, um Orte von ewiger Schönheit zu sehen. Für mich ist Venedig das Paradebeispiel – eine Stadt aus Naturstein und jahrhundertealter Patina, die nichts von ihrer Eleganz verliert. Hierzulande gibt es jedoch oft eine irrationale Furcht vor der natürlichen Veränderung von Stein. Und ja, es braucht ein wenig Achtsamkeit und Liebe, so wie es eigentlich für alles gilt. Aber selbst wenn der Rotwein überschwappt, müssen Dinge leben dürfen!
Ich liebe Grandhotels mit einem gewissen Alter, weil hier alles ununterbrochen in Benutzung ist und dabei an Charakter gewinnt. Vor Jahren erwarb ich in Berlin eine schwarzweiß gestreifte Marmortischplatte. Auch, um nicht ständig Tischdecken verwenden zu müssen, denn alles, was darauf angerichtet wird, sieht sofort gedeckt aus. Mit jedem Fleck und jeder Macke von Gläsern, Flaschen und heißen Backformen gewinnt sie an Charakter. Heute erzählt sie Geschichten von unzähligen Mahlzeiten, Getränken und unvergesslichen Abenden mit guten Freunden.
Und ich bin überzeugt – ohne wissenschaftlichen Beweis–, dass es einen Punkt gibt, an dem der Stein genug „Leben“ absorbiert hat. Ein Punkt, an dem er satt von Getränken und Essensresten, Geschichten und Erlebnissen ist. Dann ist er fertig massiert und für immer imprägniert. In meinem Badezimmer und meiner Küche habe ich seit Jahren rosa Marmor als Oberfläche. Als ich mich für den Stein namens Orient Rosé entschieden habe, war dieser ein Ladenhüter und mitunter der günstigste Naturstein, der beim Händler verfügbar war. Obwohl es ein anfälliger Kalksandstein ist, macht auch dieser sämtliche Zahnreinigungs- und Kocharien problemlos mit. Die Farbe und Maserung scheinen zu helfen, denn was bei dunklem Stein stärker wahrnehmbar ist, bleibt hier unsichtbar.
Am schönsten ist Naturstein gebürstet und matt poliert. Wie beim Holz werden Strukturen in der Oberfläche sichtbar, und der Marmor scheint, als hätte er 100 Jahre auf dem Boden einer Kirche verbracht. Alter – ist das schön!
Wann kommt die Sonnenfinsternis?
Viele Lichtquellen schaffen Spannung und Tiefe. Im Gegensatz zur einsamen Deckenleuchte tanzen mehrere Lichtquellen durch den Raum und malen Schattenspiele, die Geschichten einzelner Inszenierungen erzählen.
Wenn ich nachts durch Städte gehe und in die erleuchteten Wohnungen blicke, schaudert es mich regelmäßig. Meistens sehe ich die gleiche Szene: dominierendes Deckenlicht von einer zentralen Lichtquelle. Nur noch scheußlicher waren die 90er, als der Deckenfluter mit Lesefunktion der letzte Schrei war. Warum um Himmels willen wird eine schlecht gespachtelte Decke illuminiert? Licht sollte dort sein, wo wir uns aufhalten – und das bitte dezentral.
Über dem Esstisch bieten sich Pendelleuchten an, allerdings bitte ohne Experimente. Die Leuchte hängt hier, damit man den Sektkelch findet. Das Licht scheint also bestenfalls nach unten und lässt die Gesichter schmeichelhaft
im Halbdunkel verschwinden.
In der Küche sind Wandleuchten das perfekte Mittel, vorzugsweise mit schwenkbaren Armen. Und was seltsam klingt, aber grandios wirkt: Tischleuchten. Auf der Insel, auf der Küchenzeile, im Regal. Von groß bis klein ist hier alles erlaubt. Meine Wahl fällt hier gerne auf Glasleuchten, da sich Fettspritzer leicht entfernen lassen. Im Wohnzimmer gilt ein Verbot für zentrales Deckenlicht. Setzen Sie stattdessen auf eine Vielfalt von Lichtquellen. Und keine Sorge: Sogenannte Affenschaukeln sind kein Design-Fauxpas, solange Sie auf die Verwendung eines Stoffkabels achten.
Für Badezimmer gilt: Im Gäste-WC können dunklere Töne und sanftes Licht eine intime Atmosphäre schaffen, während im Hauptbad mehr Licht nötig ist. Hier muss man sich einen genauen Überblick über das eigene Antlitz verschaffen können.
Einen Fehler gilt es unbedingt bei Dusche und Klosett zu vermeiden: Leuchtauslass zentral über dem Ort des Geschehens. Um sich selbst nicht zu verschatten, platzieren Sie die Leuchten davor. Hier ist Deckenlicht erlaubt. Für den Spiegelbereich empfehle ich Wandleuchten seitlich oder oberhalb.
Das Schlafzimmer ist eine weitere Zone, in der zentrale Deckenleuchten fehl am Platz sind. Wandleuchten am Bett, ergänzt durch Tisch- oder Stehleuchten, schaffen eine gemütliche Umgebung.
Sollten Deckenauslässe bereits existieren, empfehle ich Lichtschienen. Sie sind flexibel, anpassbar und bieten die Möglichkeit, jedes erdenkliche Beleuchtungsszenario zu kreieren. Ob fokussierter Lichtstrahl über der Leseecke, gedimmtes Licht für einen gemütlichen Filmabend oder Einspeisung für eine Pendelleuchte: alle Probleme gelöst!
Zudem erfordern sie keinen großen Installationsaufwand und fügen sich nahtlos in bestehende Raumkonzepte ein. Sie sind ein eigenständiges Designelement – schlank und unaufdringlich.
Grundsätzlich folgt ein guter Lichtplan der Regel der drei P: Privat – Putzen – Party. Diese drei Aspekte sollten im Gleichgewicht stehen, wobei der private Aspekt den Großteil der Zeit in Anspruch nimmt. Denn die meiste Zeit hält man sich privat zu Hause auf, wenn man keinen Putzfimmel hat. Beim „Putzlicht“ geht es um klare Sicht, also Helligkeit – zur Not auch mit einem mobilen Strahler. Das „Partylicht“ ähnelt dem „Privatlicht“, ist aber etwas gedimmter, denn Dinner und Partys müssen etwas Geheimnisvolles haben. Also gerne mit Kerzen und großen Kerzenständern ergänzen. Ohne dabei das Romantiklevel überzustrapazieren.
Fotocredit: Fabian Freytag