Frei schwebend

Am Freitag, 15. Mai 2015 wurde der Pritzker-Preis (die renommierteste Auszeichnung für Architekten) an Frei Otto verliehen. Ein Novum, denn mit dem Preis können normalerweise nur lebende Architekten ausgezeichnet werden. Die Jury konnte es ihm noch persönlich mitteilen, jedoch starb (09. März 2015) Frei Otto wenige Tage nach der Bekanntgabe.

Auch wenn Frei Otto, so sagt man, keinen besonderen Wert auf Auszeichnungen gelegt hat – wird er sich sehr gefreut haben. Ich kannte Frei Otto nicht persönlich, allerdings ist er im positivsten Sinn des Wortes „Schuld“ daran, dass ich Architektur studieren wollte.

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Faszinierend den details so nah zu sein.

Im Alter von 15 Jahren besuchten wir als Familie auf der Rückreise von einem Wanderurlaub in Österreich München und natürlich auch das Olympiastadion. Wir hatten das Glück, uns an einem Tag der offenen Tür das komplette Gelände ansehen zu dürfen: z.B. den Bauch des Stadions, die Umkleidekabine des FC Bayern München und das Spielfeld. Vor allem auf dem Rasen zu stehen und die leichte Struktur des Zeltdachs über mir zu spüren, hat mich total begeistert. Was mich als leidenschaftlicher Sportler ebenfalls beeindruckt hat, ist einerseits die Tatsache, dass hier eine Atmosphäre geschaffen wurde, die einen Athleten zu Bestleistungen motivieren kann – in der er sich wohl fühlt und allein durch die Architektur animiert wird schneller zu laufen und höher zu springen. Andererseits war es für mich eine faszinierende Vorstellung, als Architekt ein derart wichtiges Gebäude für ein nur alle vier Jahre stattfindendes Ereignis zu entwerfen. Mir wurde klar, dass ein Architekt die Möglichkeit hat, eine Ikone zu erschaffen und damit für immer im baukulturellen Bewusstsein verankert zu sein. Natürlich ist auch ein Haus, ein Bürogebäude und eine Turnhalle von Bestand, aber ein Olympiastadion genießt alle vier Jahre die Aufmerksamkeit der ganzen Welt.

Architektur habe ich dann tatsächlich studiert – und recht schnell festgestellt, dass manches für immer ein Traum bleiben wird. Seit einigen Jahren wohne und arbeite ich nun in München und noch immer übt das Olympiagelände diese Faszination auf mich aus. Heute kann ich mir vieles erklären, was ich als kleiner Junge nur gefühlt habe. Günter Behnisch und Frei Otto haben ein Bauwerk und ein Gelände geschaffen, welches sich die Menschen selbst aneignen können, das bespielt werden will. Man kann es entdecken und man kann als Besucher, auch ohne Ticket, einen Blick von oben in alle Sportstätten werfen.

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Ein Dach das schwebt ...

Die Olympiabewerbung in den 60er Jahren war natürlich auch sehr politisch motiviert. Nach den schlimmen Jahren des 2. Weltkriegs und der Instrumentalisierung und Monumentalisierung der Olympischen Spiele von Berlin sollte nun ein neues Deutschland gezeigt werden. Eine offene, leichte, demokratische und für alle zugängliche Architektur sollte die Veränderung der deutschen Geschichte und Gesellschaft verdeutlichen. Der Entwurf von Behnisch und Otto war dafür perfekt. Beide hatten eine starke Vision, wie Architektur solch eine Veränderung abbilden und fördern könnte. Dass zur Abgabe des Architekturwettbewerbs noch nicht klar war, wie und ob man die Zeltdachstruktur überhaupt realisieren kann, ist aus heutiger Sicht umso verblüffender. Heutzutage hätte ein solcher Entwurf nicht den Hauch einer Chance. Die Architekten haben es geschafft, Ihre Vorstellung so überzeugend zu formulieren, dass der damals junge Bürgermeister Hans-Jochen Vogel den Mut hatte, sie zu beauftragen.

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Das weite Rund überspannt von einem gigantischen Zugseil

Diesen Mut, mal etwas außerhalb der Norm, des Vorstellbaren, der gesellschaftlichen Konventionen zu entwerfen, würde ich mir im heutigen politischen Klima viel öfter wünschen. Wenn man sich vor Augen führt, in welcher Zeit, in welchem Kontext und unter welchen technischen Voraussetzungen das Olympiastadion realisiert wurde – ohne 3D-Modellierung und Rechnerunterstützung – so erscheint heute manch anderes Gebäude recht banal und übermotiviert.

Zur Motivation und Inspiration für jede (architektonische) Herausforderung kann ich eine Seilbahnfahrt quer durch das Olympiastadion nur empfehlen, denn hier wird sicherlich die nötige Portion Adrenalin freigesetzt. Versuchen Sie es, machen Sie einen geführten Spaziergang über das Olympiadach, lassen Sie Ihre Gedanken frei! Genau dies wäre im Sinne von Frei Otto.

Wir bedanken uns bei der Olympiapark GmbH und auch bei Sayaq Adventures, die uns den Spaziergang über das Olympiadach und den Flug durch das Stadion ermöglicht haben. Es zwingt und ermöglicht gleichermaßen, einen anderen Blickwinkel einzunehmen und ist so vielleicht noch öfter „Schuld“ daran, dass wir architektonische Visionen entwickeln.

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Transparent – Leicht – Luftig