Ein alter Gartenschatz

Im April beginnt die Blütezeit der Aurikel − ein unscheinbarer Gartenschatz, dem Gabriella Pape in ihrem aktuellen GartenbuchWarum blüht mein Flieder nicht?” besondere Aufmerksamkeit schenkt:

Aurical
Die Aurikel, ein unscheinbarer Gartenschatz
Aurikeln (Auricula)
Aurikelblüten in leuchtenden Farben

“Ich möchte Ihnen eine außergewöhnlich zauberhafte Pflanze ans Herz legen: die Aurikel. Dass diese arme Pflanze auf Deutsch Bastard-Aurikel heißt, lässt die Dame natürlich auf den ersten Blick nicht sehr attraktiv erscheinen. Nennen wir sie einfach nur Aurikel und schon wissen auch die Gärtner in Ihrer Gärtnerei, was Sie meinen. Ihr botanischer Name ist Primula × pubescens und sie ist eine Hybride aus zwei Primel-Arten, der Alpenaurikel Primula auricula und der Behaarten Primel Primula hirsuta. In den Gärten Europas wird sie schon seit dem 16. Jahrhundert gezüchtet und kultiviert. Die Blätter sind weich behaart und oft mit einer grauen schleierartigen Schicht überzogen, die sich leicht mit dem Finger entfernen lässt. Das Highlight ist natürlich die Blüte, die jetzt beginnt und bis Mai andauern kann, wenn man die Aurikeln nicht in die volle Sonne stellt. Es gibt mittlerweile viele Hunderte von Züchtungen und im Grunde kann man sagen, je aufwendiger die Blüten gestaltet sind, desto weniger winterhart sind die Pflanzen. Die ganz einfachen, einfarbigen, also roten, rosa-, pink- oder lilafarbenen Hybriden sind in der Lage, fast überall in den Gärten zu überwintern. Wir haben in der Gartenakademie vor etwa vier Jahren an einem sehr schattigen Plätzchen unter Spalieräpfeln unverkaufte Restbestände von Aurikeln gepflanzt, die seitdem jedes Jahr zuverlässig wieder erscheinen und in allen Farben blühen. Was sie allerdings in unseren Gefilden nicht schaffen, ist immergrün zu bleiben, oder zumindest bleibt nur ein geringer Teil der Blätter zu sehen. Offensichtlich ist Laubschutz sehr wichtig für ihre Überwinterung im Garten. Also unbedingt im Herbst nicht immer gleich alles gründlich reinigen, sondern ruhig Blätter und anderes Geäst den Winter über den Pflanzen liegenlassen. Das hilft übrigens nicht nur den Aurikeln beim Überleben, sondern ist auch für alle anderen Gartenpflanzen und die Bodenlebewesen – im wahrsten Sinne des Wortes – ein gefundenes Fressen. Die nicht wirklich winterharten Aurikeln sind leider auch die schönsten, wie das oft so ist. Es gibt nämlich wirklich Exemplare, deren Blüten einen fast perfekten dunkelbraunen oder grünen äußeren Kreis beschreiben, der mit einem weißen Puderrand versehen ist. Im Inneren der Blüte zeigt sich dann ein weiterer weißer Ring, der das runde gelbe Honigzentrum umschließt. Diese konzentrischen Ringe gibt es natürlich nicht nur in Braun und Weiß, sondern auch in Gelb, Rot, Grün, Weißbraun, Burgunderrot und anderen Farben.
Allein die aufgehende Knospe dieser Pflanze ist ein wahres Wunder der Natur. Aus einem grünen, kleinen Kelchkrönchen erhebt sich ein Art Mini-Heißluftballon in allen Farben, die in der Natur vorkommen, nur nicht in Blau. Übrigens kommen die Aurikeln ursprünglich aus den Alpen, was auch ihre Winterhärte erklärt.
Interessant finde ich, dass sich diese Blume in Belgien, Holland und vor allem in England als Topfpflanze zu einer hochkarätigen Spezies in der Floristenwelt entwickelt hat, die auch heute noch großes Ansehen genießt und eine riesige Fangemeinde hat. Bei uns hingegen findet sie weitaus weniger bis kaum Beachtung.
Die Aurikel ist eine Lieblingsblume der Queen, und auch viele andere Besitzer großer Landhäuser schmücken ihre walled gardens mit so genannten Aurikeltheatern. Das größte mir bekannte Aurikeltheater steht bei Lord Rothschild in Waddesdon Manor, das im April und Mai auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Auf jeder seiner etwa zehn Etagen befinden sich über 150 Sorten dieser Gattung.

Aurikeltheater im Palais Het Loo, Apeldoorn/Holland
Historisches Aurikeltheater im Garten von Schloss Het Loo in den Niederlanden

Auf der Chelsea Flower Show gibt es eine Firma, die seit über 60 Jahren dort die Aurikeln auf höchstem Niveau ausstellt. Sogar die beratenden Gärtner tragen zu Ehren dieser edlen Pflanze einen Bowler Hat.”

Fotos von Marion Nickig aus: “Mit Goethe im Garten