Urlaub in Bayern war schon immer attraktiv. Durch die aktuellen Reisebeschränkungen gilt das umso mehr. Generell mag es nicht schaden, dass unser aller Blick mehr auf Deutschland gerichtet ist, wenn es ums Reisen geht. Denn Deutschland ist schön! Nord- und Ostsee inkl. der Inseln sind bekannt. Aber auch andere Regionen wie Mecklenburgische Seenplatte, Sauerland, Fränkische Schweiz, um einige rauszugreifen, sind längere Auszeiten wert. Bayern allerdings hebt sich in so fern ab, als es über eine große Vielfalt verfügt. Unser Buch Zu Gast in Bayern zeigt das in all seiner Buntheit. Autorin Karin Lochner und Fotograf Peter von Felbert haben eine Rundreise durch Bayern gemacht und dabei 30 tolle Persönlichkeiten getroffen, die jeweils ihre Region vorstellen. Es sind Personen, die Traditon und Brauchtum leben, aber modern ausgestalten – traditionell anders halt. Und sie geben Tipps für Lokalitäten und Ausflüge. Exemplarisch rausgegriffen haben wir den Besuch bei den Maibaumkraxlern.
Mit Pech zum Glück
Maibaumsteigen
Geschrieben von Karin Lochner
Die Vereinsfrauen haben 40 Kuchen gebacken. Jeder ist irgendwo eingeteilt, beim Ausschank, beim Kinderprogramm oder beim Kampfgericht, das die Zeit stoppt, wenn es ans Maibaumsteigen geht. Früher hingen für die geschicktesten Kraxler Würste am Maibaum. Mittlerweile gibt es statt Würsten einen Buzzer als Zeitmesser. Seit rund 50 Jahren wird der vertikale Höhenlauf in Rottenstuben als Wettkampf ausgetragen. Bis zu 1000 Menschen fiebern jedes Jahr mit, wenn junge Burschen und Mädchen so schnell wie möglich auf den Baum kraxeln. Der genaue geschichtliche Hintergrund des Maibaumsteigens ist nicht bekannt. Gschneidner vermutet: „Der Maibaum ist das Symbol von Fruchtbarkeit und Kraft. Daraus wird sich das Maibaumkraxeln wohl entwickelt haben: Die jungen Burschen wollten den Frauen imponieren und ihnen ihre Stärke beweisen.“
Unter dem Maibaum stapeln Matratzen – falls ein Kraxler fällt
Neben der schneeweißen St.-Jakobs-Kirche haben sich fesche Madln im Dirndl und gestandene Mannsbilder in Lederhosen um den Maibaum versammelt. Respektvolle Pfiffe und Blicke werden nach oben auf die 24 Meter hohe Spitze gerichtet. Die Tische unter den umliegenden Obstbäumen sind bis auf den letzten Platz besetzt. Es riecht nach Steckerlfisch, Schweinsbraten und Bier. Das Pech für die Hände mischen die Gruppen selbst. Das genaue Rezept ist geheim.
Der Maibaum ist das Symbol von Fruchtbarkeit und Kraft
Der Maibaum ist bereit, unter ihm sind alte Matratzen ausgelegt, es kann losgehen! Neun Männer und eine Frau werden hochsteigen. Sie bestreichen Hände und Füße mit Pech, dem einzig erlaubten Hilfsmittel. Damit haften sie besser am glatten Maibaum. Die Zusammensetzung des Pechs ist geheim. Das Einzige, was man weiß, ist: Saupech – ein Harz, mit dem beim Schweineschlachten die Borsten entfernt werden – wird mit Riemenfett und Salatöl vermischt. Die Maibaumsteiger aus Zeiing, einem Nachbardorf, sitzen auf Holzbänken neben dem Maibaum. Sie schwärmen vom Kletterspektakel in Rottenstuben: Hier sei es am schönsten. Die Zeiinger müssen es wissen: Dank ihrer vertikalen Künste hoch oben gastieren sie auf vielen Maibaumfesten in Ober- und Niederbayern.
Tollkühn, Schwindelfrei und Pappig
Je kälter es ist, desto weicher muss das Pech sein. Fällt die Temperatur unter 15 Grad, haftet das Pech nicht. Auch bei Regen muss das Maibaumsteigen aus Sicherheitsgründen ausfallen. Passiert ist den „Zeiinger Maibaumsteigern“ bei ihren Auftritten aber noch nie etwas. Wenn einen die Kraft verlässt, wird abgebrochen. Blaue Flecken von der Reibungshitze beim Runterrutschen sind aber normal. Die Spannung steigt. Der Maibaum in Rottenstuben ist schon vor dem Zeitsteigen übersät von Handund Fußabdrücken. Die Kletterer wärmen sich auf und „steigen sich ein“. Natürlich braucht es neben Pech auch ordentlich Muskelkraft. Für Bürohengste sei das nichts, lachen die Zeiinger; fast alle von ihnen sind Handwerker. Preisinger, gelernter Schreiner, erklärt: „Auf die versetzte Technik kommt es an.“ Drahtig, schlank, mit starken Oberarmmuskeln ist Preisinger in Rottenstuben der „Usain Bolt des Maibaumsteigens“. Aber ganz egal, wer hochsteigt: Julia, die nur einmal üben konnte und deshalb Letzte wird, oder Rainer, der schon zweimal gewann: Alle Kletterer werden lautstark angefeuert und mit Hau-ruck-Rufen „nach oben geklatscht“.
Nach dem Zeitsteigen kommt die Akrobatik: Kopfüber nach unten
Dem Publikum fährt der Schreck in die Glieder, wenn die Maibaumsteiger nach dem Zeitsteigen beim Akrobatikteil kopfüber an den Stamm geklammert nach unten sausen – und kurz vor dem Boden stoppen. Skispringer, Hampelmann, zirkusreife Darbietungen zu zweit, dritt, viert, fünft: Mal hängt einer kopfüber nur an seinen Beinen in der Höhe, mal klettern alle fünf wieselflink hinauf und arrangieren sich zu Figuren. Trotz der luftigen Höhe geht es beim Maibaumkraxeln um viel Bodenständigkeit. Darüber freut sich besonders Willi Gschneidner. Der Ausklang des Festtags ist wie aus dem Bilderbuch: Die Burschen, die bis eben als Rivalen um die Wette kraxelten, bekommen Freibier und sitzen zusammen. Die Zeiinger stecken wie die meisten im Publikum jetzt auch in Lederhosen, ihre klebrigen Hände haben sie gewaschen und greifen zum Maßkrug. Willi Gschneidner lacht: „Besser als mit einem Griff nach kühlem Bier kann man seine heißen Hände nach dem Maibaumsteigen kaum kühlen!
Wir hoffen, die Geschichte macht Lust auf Bayern. Unser Buch nimmt Euch mit auf eine kleine Rundreise, die vieles bietet, nur keine Langeweile! Wer noch ein wenig mehr sehen möchte – Karin Lochner und Peter von Felbert stellen in ihrem Video, das Ihr hier anschauen könnt, weitere Ziele und Menschen vor.
Fotos: Peter von Felbert