Seit dem 17. Juli 1998 wird jährlich der internationale Tag der Gerechtigkeit gefeiert, da an diesem Tag die UN-Vollversammlung das Rom-Statut unterzeichnet hat, und damit der internationale Straf-Gerichtshof mit Sitz in Den Haag eingeleitet wurde. Um diesen Tag zu würdigen, wollen wir kurz zwei weitere Frauen aus „Irans Töchter“ vorstellen, die sich mit ihrer Tätigkeit als Journalistinnen Ungerechtigkeiten aussprechen, und dagegen ankämpfen.
Die Texte dieses Beitrags stammen von unserer Autorin Stefanie von Wietersheim, die Bilder wurden von Neda Rajabi für das Buch geschossen.
Shahrzad Eden Osterer
JOURNALISTIN
„Journalismus ohne Haltung ist Nachrichten schreiben. Das ist nicht das, was ich machen will.“
In der Geschichte von Shahrzad kreuzen und verwickeln sich viele Fäden der menschlichen Geschichte. Treffen sich Religionen, Länder, Ideen und Hoffnungen. Die mitten im Iran-Irak-Krieg geborene Iranerin ist mit einem gebürtigen Israeli verheiratet, lebt heute als Jüdin in München, ist Journalistin beim Bayerischen Rundfunk und fühlt sich in München mehr zuhause als in Teheran. Freiwillig unfreiwillig wanderte Shahrzad Eden Osterer im Jahr 2004 als 19-Jährige aus dem Iran nach Deutschland aus – weil sie in ihrem Land überhaupt keine Zukunft für sich als Frau sah. „Wenn ich im Iran geblieben wäre, wäre ich entweder im Gefängnis gelandet, total verrückt oder schwer depressiv geworden.“
Die lebhafte, wortgewandte Journalistin stammt aus einer sehr liberalen Familie der oberen Mittelschicht. „Meine Eltern waren die ersten großen Feministen, die ich kennengelernt habe – und vor allem war mein Vater ein sehr außergewöhnlicher Mensch“, erklärt sie ihr Familiensystem. Zum Vater hatte sie von klein auf eine sehr enge Bildung und er war es, der seiner Tochter die komplexe Welt zu erklären versuchte, in der sie aufwuchs.
Zentral für ihr Leben ist und bleibt die journalistische Arbeit mit den Schwerpunkten Iran, Antisemitismus und Frauenrechte – die seit der „Frau, Leben, Freiheit“-Bewegung ihre Tage schier auf den Kopf gestellt hat. „Es ist meine Berufung, durch meine Sendungen, Moderationen und Texte die Schicksale der Menschen zu zeigen, nicht Zahlen“, sagt sie. Sie hält Kontakt zu den Menschen in Iran und versucht alles Mögliche, um Schallverstärker für ihre Rechte zu sein. Dennoch reflektiert sie sehr bewusst, dass sie in ihrer Doppelrolle als Journalistin und Iran-Expertin manchmal an ihre journalistischen Grenzen kommt, etwa wenn sie im Petitionsausschuss des Bundestags redet oder diskret als politische Beraterin angefragt wird. Aber auch in dieser Position versucht sie, unabhängig und kritisch zu bleiben.
Obwohl sie das Gefühl hat, dass nach Jahren des Wegschauens das Thema Iran nun politisch stärker im Fokus steht, sieht sie die deutsche Außenpolitik als halbherzig an, da die Handelsinteressen oft im Vordergrund gesehen würden. „Am Ende des Tages bin ich super enttäuscht, dass sich nichts geändert hat, bei manchen Menschen habe ich zudem das Gefühl, dass sie sich nur mit der Menschenrechtsbewegung schmücken wollen – auch wenn ich glaube, dass Ministerin Baerbock wirklich etwas ändern möchte, aber alte Strukturen sie daran hindern.” Die deutsche Außenministerin habe mit dafür gesorgt, dass beim UN Menschenrechtsrat eine Sonderkommission berufen wurde, um die Menschenrechtsverbrechen zu dokumentieren. „Das ist wichtig für die Erinnerungskultur und die juristische Aufarbeitung“, sagt Shahrzad Eden Osterer. „Aber die Enttäuschung und auch Wut bei mir ist geblieben. Ich habe mir die deutsche Demokratie anders vorgestellt. Wir alle müssen uns viel besser um sie kümmern und auch dem Antisemitismus entgegen treten!“
Natalie Amiri
JOURNALISTIN, MODERATORIN UND BUCHAUTORIN
„Wenn ich einen Beitrag für die ‚Tagesschau‘ mit 1:30-Minuten mache, halte ich sowohl meine Meinung als auch meine Emotionen zurück. Aber wenn ich als Natalie Amiri einen Vortrag halte, dann werde ich sehr klar.“
Stefanie von Wietersheim: „Welche Rolle hat Ihr persischer Vater in Ihrem Leben gespielt? Sie schreiben in Ihrem Buch ‚Zwischen den Welten‘, dass er sich nicht als sogenannter Gastarbeiter sah, sondern als Teppichexperte, der schon 1965 nach Deutschland kam.“
Natalie Amiri: „Mein Vater war eher ungewollt derjenige, der mich auf mein Lebensthema Iran brachte, wobei er es immer mied, mich auf Konzerte oder andere iranische Veranstaltungen mitzunehmen, sobald ich eine Jugendliche war. Er wollte vermeiden, dass ich einen persischen Mann heirate und in den Iran gehe, weil er es für zu gefährlich hielt und das Regime verabscheut. Meine deutsche Mutter hingegen, die eine unglaubliche enge Beziehung und große Liebe zur persischen Familie hatte und hat, nahm uns schon im Alter von vier Jahren in den Iran mit, obwohl Krieg herrschte. Sie liebte die Familie Amiri und die Familie Amiri liebte sie. In ihrer eigenen Familie, erzählte sie mir erst vor Kurzem, war sie wohl nie umarmt worden, und im Iran fand sie eine große Wärme. So ist sie mitten im Krieg mit zwei kleinen Kindern in den Iran zu einer Cousine gefahren, als deren Mann gefallen war, um ihr zur Seite zu stehen, sie zu trösten. Durch das Vorleben der Liebe zur persischen Familie ist mir das wohl ins Blut übergegangen. Ich denke selten über den deutschen Teil meiner Familie nach, wenn ich an Familie denke.“
SvW: „Sie haben gerade in Kassel die Auszeichnung des ‚Glas der Vernunft‘ erhalten – und reihen sich damit in eine Linie von Preisträgern wie Hans-Dietrich
Genscher, Pavel Kohout, Ai Weiwei und Avi Primor ein. In Ihrer Rede sprachen Sie über Mut und Angst. Gehören Mut und Angst immer zu Ihrem Beruf?“
NA: „Ich frage mich immer: Warum sollen wir mutige Aussagen in Deutschland feiern? Wir leben in einer der am besten funktionierenden Demokratien der Welt, wir haben den Luxus, mutig sein zu dürfen und dabei vom Gesetz geschützt zu werden. Wieso also von Angst bestimmen lassen, Nährboden für Populisten bieten? Ich weiß nicht, wovor die Menschen sich fürchten. Ich wurde während meiner Arbeit im Iran mehrfach bedroht und verhaftet, mir wurde der Pass abgenommen und die Ausreise verwehrt. Ich habe unter den Taliban berichtet, wurde in Eritrea von Schergen des Regimes in ein Verlies gebracht. All das hat mich nur mutiger werden lassen.“
SvW: „Was war das Eindrücklichste, das Sie in Ihren Jahren als Berichterstatterin im Iran gelernt haben?“
NA: „Mut! Jedes Interview, das mir gegeben wurde, kam von einer mutigen Person, weil sie sich getraut hat, einer internationalen Korrespondentin, die in den Augen des Regimes den Feind darstellt, Antworten zu geben. Gerade Frauen haben mir dort die Definition, eigentlich eher einen Superlativ, von Mut vorgelebt. Das hat mich in meinem weiteren Leben sehr beeinflusst und war ein riesiges Geschenk. Wenn sie so mutig sind, kann ich nicht feige sein!“