Grenzwertig

Mit paradiesischen Zuständen ist das so eine Sache. Sie stoßen nämlich schnell an ihre Grenzen. Das war schon im Garten Eden so und hat sich bis heute nicht geändert. Das Paradoxe ist: Ohne Begrenzung gäbe es das Paradies gar nicht. Denn das altpersische Wort pairi-dae-zo bedeutet nichts anderes als Umzäunung. Auch im Sprachgebrauch anderer Kulturen wie im babylonischen paradisu oder im griechischen paradeisos ist die Bedeutung klar: Sie definiert die Abgrenzung des markierten Besitzes. Also ist das Paradies eigentlich gar kein Paradies? Keine Insel der Seligen? Nicht der Himmel auf Erden? Doch! Und zwar gerade weil es ein durch Abgrenzung geschütztes Terrain ist.

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Als die Menschen sesshaft wurden errichteten sie Zäune um den von ihnen beanspruchten Bereich. Nicht aus Habgier oder Besitzdenken, sondern um die Kultivierung der Flächen gegen die Natur zu verteidigen. Das Gezähmte gegen das Wilde, Freund gegen Feind. Eine physische Grenzziehung als lebensnotwendige Barriere um das eigene Eldorado, das Sicherheit bot und kalkulierten Ertrag. Seit aber in den frühen Hochkulturen des Vorderen Orients das Staatswesen begründet und die Arbeitsteilung zur Regel wurde haben nur noch Privilegierte Zugang ins Paradies. Kein Wunder also, dass dieser Bereich fortan Begehrlichkeiten weckte und den Wunsch, die störenden Grenzen zu überwinden. Dass dies gleichzeitig das Ziel allen Strebens zerstören würde erklärt sich anhand der ureigenen Definition des Wortes Paradies von selbst. Die Suche der Menschen nach Harmonie mit sich und der Welt wird also ein ewiger Widerspruch bleiben – dem Mythos Arkadien, der Renaissance, Thoreaus romantischer Vorstellung vom „Leben in den Wäldern“ oder der aktuellen Hinwendung zum idyllischen Landleben zum Trotz.

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Der Zaun mag ein lästiges Hindernis im Drang zu Freiheit und Unabhängigkeit sein, mit reiner Ablehnung aber wird man ihm nicht gerecht. Vermutlich klingt der oft negativ besetzte Begriff in unseren Ohren so wenig paradiesisch, weil das altgermanische zun in unserem Sprachgebrauch anders definiert wird als das englische town (Stadt) oder das niederländische tuin (Garten). Town und tuin bezeichnen ein eingefasstes Gebiet; im Deutschen aber ist mit Zaun nicht der Raum sondern ein Mittel zur Grenzziehung gemeint. Die starke Symbolkraft des Zauns als raumtrennendes Element, als Ausdruck von Machtstreben und Prestige, die im Barock in ornamentaler Pracht und materieller Stärke ihren Höhepunkt fand, verliert sich aber immer mehr.

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Mit der heutigen Sichtweise einer offenen Welt ohne Schranken bekommt der Zaun eine ganz andere Bedeutung. Denn kleinkariertes Besitzdenken ist in Zeiten von Sharingmodellen und Gemeinschaftsgärten nicht mehr gefragt. Nicht Statussymbole gilt es in der heutigen Zeit zu schützen, sondern den Freiraum des Einzelnen. Und der muss weder groß sein noch repräsentativ, sondern einfach nur privat. Ein Biotop, ein Lebens-Raum mit einem symbolischen Zaun als imaginärer Grenze. Ist das der ersehnte Garten Eden, der neue hortus conclusus? Mal abwarten. Ich weiß nur eins: Jede Kultur, jeder irdische und auch jeder paradiesische Garten hat Grenzen – und die braucht er auch.

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Sehr inspiriert hat mich in diesem Zusammenhang der Titel „Zäune Mauern Hecken“ von Martina Rahner und Jörg Schierwagen, 2011 erschienen im Callwey Verlag.

Fotos © Christina Freiberg; Olga Meier-Sander / Pixelio.de