Callwey: Wie sind Sie als Filmemacher zur Architektur gekommen?

Louis Saul: Hätten die Gebrüder Lumière und ein paar andere den Film nicht erfunden, dann wäre ich vielleicht Architekt geworden. Künstlerisches und technisch anspruchsvolles, engagiertes Bauen hat mich schon immer gepackt und nachdem ich zum 80. Geburtstag von Frei Otto ein Portrait hatte drehen können, war mir klar, dass ich mich dieser Form der Gestaltung mehr widmen wollte.

Callwey: Als Filmemacher nehmen Sie verschiedene Blickwinkel und Perspektiven ein. Das hilft sicherlich auch, die Architektur und ihre Entwicklung zu beobachten?

Louis Saul: Beim Dokumentarfilm steht das aufmerksame Anschauen der Welt am Beginn der Arbeit. Bei der Architektur ebenso. Ich betrachte Menschen und ihre Umgebung und gebe mein Statement in bewegten Bildern, in meinem Film wieder. Der Architekt macht – hoffentlich – etwas Ähnliches vor seinem Entwurf. Dann entwirft er sein Statement in unbewegten Steinen oder Hölzern. Und ärgert sich während des Planungsprozesses und der Ausführung über Beschränkungen durch Bauvorschriften, Auftraggeber, Budget oder Handwerker. Oder freut sich über das Genie der anderen. Das kenne ich genauso. Die Prozesse von Filmemachen und Bauen ähneln sich also durchaus. Ich denke, das hilft mir bei der Beobachtung.

Callwey: Gut gesagt. Wie schrieb schon Albert Sánchez Piñol in seinem Werk Im Rausch der Stille: „Alle Augen schauen, wenige beobachten, sehr wenige erkennen.“ Was erkennen Sie in der Architektur?

Louis Saul: Die Gestaltung der Welt. Kaum etwas prägt den vom Menschen gemachten Teil der Welt so wie ein Bauwerk. Ein Architekt/Baumeister hinterlässt Spuren, manchmal für Jahrtausende. Und er gestaltet Räume für seine Mitmenschen. Wenn ihm das gelingt, dann kann er viel Gutes tun. Große Chancen, oder?

Callwey: In der Tat! Was denken Sie, wie werden wir in Zukunft wohnen und wie werden wir bauen? Wird es eine grundsätzliche Veränderung geben oder spielt sich eher eine Veränderung im Kleinen ab?

Louis Saul: Das Bauen ist sicher ein sehr evolutionärer Prozess, quasi mit eingebauter Behäbigkeit. So ähnlich, denke ich, wird sich das auch weiterentwickeln. Ein durchschnittliches Haus steht bei uns vielleicht 50 Jahre. Da passieren Revolutionen nicht über Nacht, auch wenn man sich das manchmal wünschen würde. Gebaute Wirklichkeit hat lange steuerliche Abschreibungszeiten. Würde man dort klug etwas ändern, dann könnte man manchen positiven Effekt sicher deutlich beschleunigen.

Konkret: Ich kann mir gut vorstellen, dass sich unsere persönliche Energiebilanz noch verbessern lässt – oder lassen muss. Baumaterialien in ihrer gesamten Gestehungsgeschichte werden wichtiger werden, Industrien werden weiter verstärkt ihre Herstellungsprozesse und Produkte nach Verträglichkeit mit dem Leben optimieren müssen. „Cradle to Cradle“ wäre ein Ziel. Die Materialforschung bringt uns da in Zukunft sicher noch ein paar interessante Entwicklungen. Die Digitalisierung unseres Alltags wird auch das Wohnen weiter stark verändern. Die gerade entstehende „Neue Beweglichkeit“ wird unser Wohnverhalten noch deutlicher beeinflussen, als wir es schon jetzt in den Metropolen sehen.

Und ganz wichtig: Gemeinschaftliches Wohnen wird eine wachsende Rolle spielen, weil die Familienverbände durch neue Formen des Zusammenlebens ergänzt werden. Auch der individualistische Mensch behält eben seine Sehnsucht nach Gemeinschaft. Und dieser Individualismus wird auch dafür sorgen, dass sich gestalterisch in der Zukunft noch eine Menge tut.

Callwey: Es bleibt also spannend, auch wir verfolgen diese Entwicklungen in der Architekturredaktion aufmerksam. Zum Schluss sind wir noch neugierig: Wie wohnen Sie?

Louis Saul: Ziemlich zufrieden stellend: In einem kleinen Haus, ein energetisch sehr guter Neubau, in einer innerstädtischen Baulücke. Alles ist erfüllt: eine gute Lage, eine gewachsene Nachbarschaft und eine ordentliche Energiebilanz – zumindest für einen Mitteleuropäer.

Callwey: Wir bedanken uns für das Gespräch!

Wenn Sie mehr zum Thema wissen möchten, ist unser Buch “Bauen für die Zukunft” die ideale Inspirationsquelle.